Am vergangenen Samstag haben über 300 Personen für die ersatzlose Schließung des Abschiebeknasts Ingelheim und die Freilassung aller dort inhaftierten Flüchtlinge demonstriert. In dem Hochsicherheitsgefängnis werden seit 2001 Menschen, die abgeschoben werden sollen, bis zu 18 Monate lang eingesperrt.
In der „Ingelheimer Erklärung“, die auf der Demonstration verlesen wurde, wenden sich antirassistische Gruppen und Flüchtlingsorganisationen gegen den Runden Tisch, mit dem die rheinland-pfälzische Landesregierung die Abschiebehaft in Ingelheim unter Beteiligung von kirchlichen Gruppen und NGOs „auf den Prüfstand stellen“ und Konzepte zur „Verbesserung der Haftbedingungen“ unter humanitären Gesichtspunkten entwickeln will. „Aus unserer Sicht kann es keine humane Abschiebehaft geben – das Ziel kann nur die Schließung des Abschiebegefängnisses in Ingelheim sein.“ heißt es dagegen in der Ingelheimer Erklärung.
Das Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main hat in seinem Redebeitrag auf der Demonstration an Smart Imafidon erinnert, der im Juni 2011 zwei Wochen lang im Abschiebeknast Ingelheim inhaftiert war, bevor er mit einem Sammelcharter über Wien nach Nigeria abgeschoben wurde. Wir haben die Stationen von Smarts Abschiebung nachgezeichnet, um die europaweiten Verflechtungen des EU-Abschiebesystems vor Augen zu führen. Der Redebeitrag des Aktionsbündnisses ist im Folgenden in Langfassung dokumentiert und kann hier heruntergeladen werden.
Stationen der Abschiebung von Smart Imafidon nach Nigeria Ein Blick auf die Europäisierung des Abschiebesystems
Liebe Antirassistinnen und Antirassisten,
am 29. Juni, vor nicht ganz drei Monaten, wurde Smart Imafidon nach zwei Wochen Haft im Abschiebegefängnis Ingelheim nach Nigeria abgeschoben. Gemeinsam mit The Voice hatten wir vom Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main zuvor versucht, ihn in der Abschiebehaft zu unterstützen, konnten aber letztlich seine Abschiebung mit einem Charterflug über Düsseldorf nicht mehr verhindern. In diesem Redebeitrag möchten wir Smart Imafidons Geschichte zurück ins Gedächtnis rufen, denn sie gibt die Perspektive eines Menschen wieder, der hinter den Mauern des Abschiebeknasts Ingelheim eingesperrt war – einzig, weil er in Deutschland Schutz suchte.
Gleichzeitig ist Smarts Geschichte aber auch ein Beispiel für die Funktionsweise eines modernisierten und europaweit koordinierten Abschiebesystems, in dem immer mehr Menschen mit EU-Sammelchartern, die in den meisten Fällen über die europäische „Grenzschutzagentur“ Frontex finanziert und organisiert werden, abgeschoben werden.
Asylantrag abgelehnt
Smart Imafidon verlässt im Jahre 2009 seinen Herkunftsort in Nigeria, nachdem zwei seiner Familienangehörigen im Zuge politischer Auseinandersetzungen plötzlich spurlos verschwunden sind. Aus Angst, selbst zum Opfer politischer Verfolgung zu werden, flüchtet Smart nach Europa. Doch der Asylantrag, den der 18-Jährige in Deutschland stellt, wird abgelehnt.
„I came to Germany in January 2010 seeking for protection and applied for asylum only to find insecurity from the first point of my entry into the country“, schreibt Smart über seine Behandlung in Deutschland, „I was confronted with total stress and continuous threat that left me sleepless at night.“ Nachdem die nigerianische Botschaft Reisepapiere für Smart ausstellt, steht der Abschiebung nichts mehr im Weg: Smart wird am 8. Juni 2011 in seinem Wohnort in Rheinland-Pfalz festgenommen und soll vom Frankfurter Flughafen aus mit einem Lufthansaflug nach Lagos abgeschoben werden. Dieser erste Abschiebeversuch per Linienflug scheitert jedoch, weil Smart Imafidon gegen die Abschiebung protestiert und der Pilot sich daraufhin weigert, ihn mitzunehmen.
Abschiebflughafen Frankfurt
Abschiebungen wie diese sind ein alltägliches Szenario in Frankfurt. Der Rhein-Main-Airport ist nach wie vor Abschiebeflughafen Nr. 1 und Hauptdrehkreuz für Linienabschiebungen in Deutschland. Nach offiziellen Statistiken wurden letztes Jahr 3098 Menschen über den Frankfurter Flughafen außer Landes geschafft, was einer Zahl von fast 10 Abschiebungen am Tag entspricht. Als Schauplatz dieser kontinuierlichen Abschiebepraxis und Standort eines Internierungslagers für Menschen ohne gültige Papiere ist der Flughafen ein Ort der rassistischen Ausgrenzung und der Einschränkung der Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen und MigrantInnen.
Zugleich ist der Flughafen aber auch ein Ort des Widerstands gegen Abschiebungen. Wie im Fall von Smart Imafidon gelang es in den letzten Jahren immer wieder, Abschiebungen in letzter Minute noch zu stoppen, wenn die unfreiwilligen Passagiere sich vor dem Start eines Flugzeugs gegen ihre Zwangstransporte zur Wehr setzten. Doch solche erfolgreichen Abschiebungsverhinderungen bleiben für die betroffenen Menschen oft zweischneidig, denn nach dem Abbruch der Abschiebung erwartet sie meist nicht die ersehnte Freiheit, sondern Abschiebehaft. Die Inhaftierung zur „Sicherung der Abschiebung“ soll den Willen der „Widerspenstigen“ brechen und den Behörden Zeit für die Vorbereitung einer neuen Abschiebung geben.
Abschiebegefängnis Ingelheim
So wird auch Smart Imafidon nach der gescheiterten Abschiebung über Frankfurt in den Abschiebeknast Ingelheim gebracht. 14 Tage lang bleibt er in einer der 14-qm-Zellen eingesperrt. In seinem Bericht findet er deutliche Worte für die Isolation und repressive Zurichtung, denen er im Gefängnis unterworfen wird: „Life in Ingelheim“, schreibt er, „is a true picture of Guantanamo“.
Dieser Eindruck ist durchaus Teil des Konzepts Abschiebehaft. Den Inhaftierten, die in der GfA Ingelheim bis zu 18 Monate festgehalten werden können, gibt die Erfahrung der Haft die klare Botschaft mit auf den Weg, in Deutschland unerwünscht zu sein. Der Knast wird auf diese Weise zu einem Instrument, um Menschen, die in der Hoffnung auf Schutz und ein besseres Leben hierher gekommen sind, zu kriminalisieren und davon abzuschrecken, sich nach einer Abschiebung wieder auf den Weg nach Europa zu machen.
Frontex-Sammelabschiebungen nach Nigeria
Am 29. Juni wird Smart Imafidon schließlich von Ingelheim nach Düsseldorf gefahren und von dort aus mit einem Sammelcharter über Wien nach Nigeria abgeschoben. Ab Wien handelt es sich bei einem Abschiebeflug um eine der regelmäßig stattfindenden Frontex-Massenabschiebungen, mit denen immer wieder große Gruppen von Flüchtlingen aus mehreren EU-Staaten in ihre vermeintlichen Herkunftsländer transportiert werden.
Solche europaweit koordinierten „gemeinsamen Rückführungsoperationen“ sind eine Methode, Abschiebungen unter dem Ausschluss jeglicher Öffentlichkeit durchzuführen und Widerstand der betroffenen Menschen nahezu unmöglich zu machen. Frontex betätigt sich bei den Sammelchartern als umfassende EU-Abschiebeagentur. Neben der Koordination der Flüge spielt die Agentur auch auf der politischen Ebene – z.B. bei der Verhandlung von Rückübernahmeabkommen mit Zielstaaten oder der Beschaffung von Reisepapieren – eine immer gewichtigere Rolle.
Bemerkenswert ist außerdem, dass Nigeria in den letzten Jahren zu einem Hauptziel der Frontex-Abschiebungen geworden ist. Mit 17 Sammelabschiebungen 2009 und 14 Flügen 2010 sind mehr als 2300 Menschen in den letzten beiden Jahren mit Frontex-Chartern nach Nigeria abgeschoben worden. Nicht ohne Grund wurden die Nigeria-Sammelcharter deshalb auch schon als „Kampfprogramm gegen afrikanische Flüchtlinge“ bezeichnet.
Smart beschreibt die erniedrigenden und menschenverachtenden Behandlungsweisen, mit denen er und viele andere illegalisierte MigrantInnen wie Gefangene nach Lagos transportiert werden: „At the airport in Düsseldorf I was put through rounds and had to put off my clothes in front of the policemen. They checked me and chained me like a criminal“, schreibt er, „I had to remain chained until Nigeria and even eat and go to toilet with chains during the flight. Arrived In Nigeria, we were dumped at the Cargo-Airport without consideration what we may be bound to face. We were deported together with
a woman and three kids onboard of the plane. What a democratic Europe.“
Freiheit statt Frontex!
Gegen Frontex und die Europäisierung des Abschiebesystems, die in Smart Imafidons Geschichte deutlich wird, muss unsere Antwort sein, dass auch antirassistische Gruppen und MigrantInnenorganisationen sich stärker transnational vernetzen und ihren Widerstand gemeinsam organisieren. Ein erster Schritt in diese Richtung könnte die zweite „No border lasts forever“-Konferenz vom 18. bis 20. November in Frankfurt am Main sein, auf der auch die Idee einer Kampagne gegen Sammelabschiebungen zum Thema gemacht werden soll.
„Freiheit statt Frontex“ wird es nur geben, wenn es uns gelingt, dem Abschiebesystem an allseinen Orten Widerstand entgegenzusetzen und Sammellager, Abschiebeknäste und Flughäfen gleichermaßen zu Orten des Protests zu machen.
Für globale Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für alle!
Kein Mensch ist illegal.